Sehnsucht nach meiner Kindheit

Draußen stürmt es und der Regen weckt mich aus dem Schlaf. Die Traumbilder verblassen und zurückbleibt eine große Sehnsucht nach meiner längst vergangenen, wunderschönen Kinderzeit.

Es ist ein Traum der sich in Abständen wiederholt. Ich wandere durch das Haus, in dem ich geboren wurde und viele glückliche Jahre meiner Kindheit verbrachte. Nur meine geliebte Großtante, die wie eine zweite Mutter für mich war und die ich von klein auf nur Mutti nannte, kann ich nicht finden.
Wer weiß denn schon was Träume bedeuten! Immer sind es große Räume mit riesigen Fenstern, durch die ich gehe, wie ein Schloss, und ich suche und suche.

Dabei war mein Geburtshaus ein ganz normales älteres Wohnhaus mit Vorbau und kleinem Balkon, den man von der ersten Etage aus betreten konnte.
Von dort gelangte man auch über eine steile Bodentreppe auf den geräumigen Dachboden. Viele schöne Stunden verbrachte ich da oben.
Wenn die Sonne durch das kleine Fensterchen lugte, tanzten Staubpünktchen lustig über den Holzboden. Die Dachziegel waren von innen nur mit Lehm abgedichtet und an manchen Stellen schimmerten goldene Strahlen durch die Ritzen und kitzelten die Nase, dass ich mehrfach niesen musste.
Die Luft roch an heißen Sommertagen wie warme trockene Erde vom Acker, gemischt, mit den in altem Staub gespeicherten Gerüchen längst vergangener Zeiten.
Am liebsten hielt ich mich im Sommer nach dem Mittagessen dort auf, wenn es draußen vor Hitze nicht auszuhalten war. Es gab so viel zu entdecken. Ein großer Holzschrank enthielt eine Bergmannsuniform und alte Röcke und Mäntel. In zwei Truhen befanden sich Gardinen und Decken.
Schlitten und Schneeschuhe waren hier abgestellt genauso wie kaputte Gegenstände, die in einem Haushalt gebraucht werden und längst durch Neue ersetzt waren. Kisten voller Bücher, altes Spielzeug und ein Schaukelpferd fanden sich neben angeschlagenem Geschirr und jeder Menge geflochtener Körbe.
Oft saß ich auf meinem Lieblingsplatz, einem alten Schaukelstuhl der schon einige angebrochene Stellen hatte und schmökerte in den Büchern oder schlief auch an manchen Tagen ein Stündchen.
Dort las ich mein erstes Abenteuerbuch von Karl May, „Durch die Wüste“ und quälte mich mehrere Wochen durch die altdeutsche Schrift.

In der ersten Etage gab es eine Stube, zwei Schlafzimmer eine kleine Kammer und mein Kinderzimmer. Von dem langen Flur ging man über eine Holztreppe in das Erdgeschoss. Gleich rechts lag die Stube meiner Mutti, gegenüber ihr Schlafzimmer und am Ende die Küche mit Abstellraum. Es gab kein Bad.
In allen Schlafzimmern standen Waschschüsseln und Krüge mit Wasser, das im Winter regelmäßig einfror. Die Toilette befand sich außer Haus und wurde nachts nur im Notfall aufgesucht. Für den kleinen Bedarf gab es Porzellantöpfe mit Deckel. Kohleöfen standen nur in den Stuben und der Küche, sodass nach frostigen Nächten Eiskristalle an den Wänden und manchmal auch auf der Bettdecke glitzerten.
Nie wieder habe ich so tief und fest schlafen können wie in diesen kühlen Räumen, in mit Wärmflasche vorgewärmten Betten, eingekuschelt in Wolldecke und dickes Federbett.
Der Keller war unter der Erde so, wie das früher üblich war und ersetzte prima den Kühlschrank. Es wurden Kartoffeln eingelagert und alles eingekochte Obst stand ordentlich sortiert in den Regalen. Man konnte auch Haushaltsgeräte die man nicht immer benötigte dort abstellen oder an den Wänden aufhängen. Wäre es trotz des Lichtes unten nicht so dunkel und kühl gewesen, hätte ich mich nicht so gefürchtet in den Keller zu gehen.
Am schlimmsten fand ich den niedrigen Gang bis zu den Kartoffeln, den man nur gebückt entlang laufen konnte. Immer hatte ich Angst, eine Spinne könnte auf mich springen oder ich würde mit den Haaren durch ein Spinnennetz streifen. Trotzdem musste ich im Frühjahr regelmäßig durch diesen Gang und dann die Kartoffeln entkeimen.
Einmal aber griff ich gerade nach einer Kartoffel, da machte diese die Augen auf und tat einen Sprung das ich losschrie wie am Spieß.
Meine Mutti kam gesaust, so schnell es ging und fing mich in meiner panischen Flucht auf. „Nie, nie wieder gehe ich dahin wo die Kartoffeln Beine kriegen“, weinte ich. „Aber Schatz sagte Sie, das war doch nur eine Erdkröte die im Keller überwintert“.
Später kamen die Kartoffeln, dann in eine Miete weiter vorne im Keller so das niemand mehr durch den Gang gehen musste und die kleinen offenen Kellerfenster wurden mit Gaze gegen Ungeziefer abgedichtet.
Durch die Küche gab es einen Hinterausgang der in einen kleinen viereckigen Hof führte. Links ging es in den Holzschuppen mit einer kleinen Tenne, auf der Heu für die Hasen lagerte. Daneben gab es die Waschküche mit Waschkessel. Rechts davon kam das Plumpsklo und um die Ecke stand der Hasenstall.
Ein paar Stufen führten hinauf in den Garten geteilt in Blumen und Gemüsegarten. Die große Wiese mit Obstbäumen lag an einem Hang und das Mähen mit der Sense war dort sehr mühsam.
Der Tritt in den Holzschuppen bestand aus einem großen Sandstein auf dem im Sommer mein Großonkel saß und die Sensen dengelte. Das rhythmische Klopfen drang bis in die Küche und machte uns schläfrig, als würden wir hypnotisiert. Ich wunderte mich nur, das der Onkel dabei nicht selbst einschlief. Der Sandstein ersetzte auch prima jede Wettervorhersage denn, wenn er Wasser zog, also nass wurde, gab es mit Sicherheit Regenwetter. Da konnte man sich zu hundert Prozent darauf verlassen.

Nun soll es laut Wettervorhersage wieder den ganzen Tag regnen und ich schäle mich aus dem Bett und der Vergangenheit.
Das Haus ist seit vielen Jahren verkauft und mehrfach umgebaut. Vor einigen Jahren bin ich noch nachts heimlich hingegangen und habe es umarmt.
Wie gerne würde ich mich noch einmal auf den Sandstein setzen!

Heike Schmidt März 2015

Danke lieber Galapappa das du bei mir vorbeigeschaut hast. Dein Gedicht ist sehr schön und beschreibt auch meine Empfindungen wenn ich auf alte Dachböden steige, was ich viel zu selten tue.
LG Heike